Definition "bedürfnisorientierte Erziehung"

Ich brauche mal Nachhilfe, weil ich so viel Widersprüchliches darüber lese.
Was ist für Euch bedürfnisorientierte Erziehung?
Wenn Ihr so erzieht, was macht Ihr deutlich anders?
Ist das Wort NEIN wirklich verboten?
Gibt es einen Unterschied zu bindungsorientierter Erziehung oder ist das bloß ein anderes Wort dafür?
Was ist der Unterschied zum Konzept "unerzogen"?
Danke Euch.

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Für MICH bedeutet bedürfnisorientierte Erziehung, dass ich die Bedürfnisse meines Kindes, die Bedürfnisse von uns Eltern und die Bedürfnisse der Mitmenschen ernst nehme. Dabei bleibe ich bei gefährlichen Dingen, oder Dingen, die die Freiheit meiner Mitmenschen einschränken konsequent, versuche dafür aber in anderen Situationen entspannter zu bleiben.
Sprich: eine Steckdose ist IMMER Tabu, auch wenn mein Sohn gerade das unglaublich ernsthafreBedprfnis hat, da rein zu fassen.
Auch darf er Eigentum von anderen auf keinen Fall beschädigen(von "Unfällen"spreche ich jetzt nicht).

Auch geht mein Bedürfnis auf Toilette zu gehen vor seinem Bedürfnis den Ball haben zu wollen.
Wenn er jedoch unbedingt noch mal alle Lichter an und aus machen möchte bevor wir gehen und ich ihm damit den Nachmittag retten kann...warum nicht?

Natürlich sage ich auch "Nein". Aber nicht dogmatisch zu jeder Kleinigkeit nur "weil ich das so wil"l, sondern weil es für mich einen wichtigen Grund hat (zerbrechlich, gefährlich etc)
Ich besteche mein Kind aber auch schon mal und werde bestimmt auch mal die bösen "wenn....dann..."-sätze verwenden.
Aber alles in allem schätze ich uns schon "Bedürfnisorientiert" ein.
Es ist meiner Meinung nach schwierig eine genaue Definition abzugeben. Diese ganzen "Konzepte" sollten doch eh nur Richtlinien sein. Man nimmt sich raus was zu einem passt. Und das andere lässt man da. Viel auf sein Bauchgefühl zu hören ist sowieso am wichtigsten.
Ich lese auch gerne zum Thema Erziehung. Aber ich filtere immer unbewusst was zu uns passt und was nicht.
Es gibt so viele Widersprüche, weil man halt nichts verallgemeinern kann.
Ich hole mir gerne Anregungen aber bleibe dennoch bei meinem Stil. Denn ichund mein Mann wissen ja am Besten was gut für unser Kind ist.

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Hi,

ALSO mir kann ja gerne jemand wiedersprechen. ABER in MEINEN Augen bedeutet Bedürfnisorientiert nicht ergo "NICHT Erziehen" sondern Bedürfnisse aller Familienmitglieder wahrnehmen und aufgrund von Prioritäten als auch persönlichen Geduldsgrenzen abwägen was im Falle einer doppelten Bedürftigkeit jetzt wichtiger ist.

Sprich klassische Situation... Kleinkind steht neben einem und weint, es will auf den Arm weil es einfach gerade Nähe benötigt egal aus welchem Grund heraus. Diesem Bedürfnis des Kindes sollte hier nachgegeben werden im Bereich der Bedürfnisorientiertheit. ABER angenommen man sitzt gerade auf Toilette oder ist damit beschäftigt ein paar Schnitzel in der Pfanne zu wenden. Das kann man ja schlecht unterbrechen... bei ersterem würde man sich in die Hose machen und beim 2. würde das Essen schnell zu Steinkohle. Insofern das Kind also nicht aufgrund von Schmerzen schreit - wird es nicht sterben wenn es sich 2-3 Minuten gedulden muss... auch wenn das unter Schreien geschied. Man signalisiert durch ruhiges mit dem Kind reden das man sein Bedürfnis wahr nimmt und erklärt ihm/ihr aber warum man gerade nur verzögert reagieren kann. Ist man damit fertig ist das eigene Bedürfnis was hier vorrang hatte befriedigt und man kann sich dem Bedürfnis des Kindes widmen.

Es bedeutet also nicht nur - nur das Bedürfnis des jüngsten Mitglieds zu berücksichtigen sondern auch das von Geschwistern oder der eigenen. Es gibt einfach Momente wo man ganz sachlich sagen muss - man kann hier das eigene Handel nicht fürs Kind unterbinden.

Bedürfnisorientiert bedeutet auch die Bedürfnisse nach Sicherheit, Nähe und Geborgenheit ebenso hoch zu werten wie das Bedürfnis nach gestillten Hunger, Sauberkeit, Wärme, Schutz und Pflege.

Bedürfnisorientiert bedeutet nicht das es ok ist den Couchtisch zu bemalen (will meiner momenten gerne), andere Leute zu hauen oder zu beisen oder beim Einkaufen alles haben zu können was man nur länger als 5 Sekunden anschaut.

Da z.b. viele Kinder das Bedürfnis haben aus Furcht und Unbehagen alleine zu sein, bei den Eltern im Bett mit zu schlafen. Insofern man dadurch dennoch selbst irgendwie einen halbwegs erholten Schlaf erhalten kann (Unterbrechungen hätte man ja auch wenn das Kind im Nebenzimmer immer heulend aufwacht und man hingehen muss) - sollte man sich nicht aufhalten lassen sein Kind mit ins eigene Bett zu holen. Ganz oft kommt man so zu mehr schlaf auch wenn man ständig den Windelhintern oder Haxn ins Kreuz gestiefelt bekommt.

Eine Erziehung die nicht Bedürfnisorientiert ausgerichetet ist zielt meist darauf ab von Kindern mehr zu verlangen und zu erwarten als für sie in dem jungen Alter verständlich oder auch ertragbar wäre.

Bedürfnisorientiert wird gerne mit der Antiautoritären Erziehung über einen Kamm geschert. Das eine hat aber nix mit dem anderen zu tun. Ich nehme die Bedürfnisse meines Kindes wahr und achte sie... aber ich sehe mich als Mama und nicht als Kumpel... ich bin davon überzeugt als Eltern durchaus eine Handvoll Rahmenbedingungen zu stellen. Denn Grenzen bieten genauso Sicherheiten. Kinder testen Grenzen aus um Halt zu spüren... wenn man ihnen das nicht gibt, werden sie schnell das Gefühl vermittelt bekommen ihren Eltern egal zu sein, immerhin erlauben sie ALLES ohne Einschränkungen. Bedürfnisorientiert ist ein Zwischenweg... zwischen Autoritär und Antiautoritär. Es entspannt das Familiäre Umfeld imens wie ich finde. Es hat weder was mit Zügellosigkeit zu tun aber auch nichts mit nem Kampf (den man im autoritären Beispiel ständig hat) zu tun. Man verfolgt unter anderem damit das Ziel das durch die Geborgenheit und Sicherheit in der Familie und das ernst genommen werden starke Persönlichkeiten heranwachsen die über die Jahre nicht nur eigene Bedürfnisse vertreten können und sich nicht unterbuttern lassen oder blind mitlaufen aber gleichsam auch achtsam werden die Bedürfnisse andere zu respektieren wenn die andere sind als die eigenen. Denn sind wir mal ehrlich. Wenn ich mein Kind permanent bevormunde und gar nicht mit einbeziehe oder berücksichtige, kann ich auch nicht erwarten das mein Kind später Rücksicht für andere aufbringen kann. Ziel ist es mehr Menschlichkeit, Zivilcourage und Rücksicht mitzugeben. Schauen wir uns doch an was die Zeiten der schwarzen Pädagogik so vollbracht haben... Bindungsscheue Menschen die Beziehungen schon wegen kleinen Hindernissen aufgeben, Menschen die nur noch sich selbst im Fokus haben und dene es egal ist was um sie herum passiert. Da bin ich der Meinung muss man Gegensteuern und wie könnte man das besser als mit dem was unsere Zukunft ist - unsere Kinder. Regeln, Manieren und co lernen sie automatisch durch vorleben der Eltern.

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Ganz toll ausgedrückt 👍

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Wunderbar beschrieben und sagt alles aus! Finde ich großartig.!

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Ich glaube da findet jeder irgendwie seinen eigenen Weg :)
Ich liebe die bedürnisorientierte Erziehung und wir fühlen uns alle sehr wohl damit. Es gibt aber auch Kompromisse und Grenzen. Wir haben z B kein Familienbett und das wäre jetzt für Viele bestimmt das Must-Have. Aber unsere bedürnisorientierte Erziehung klappt ohne ganz gut. Bei uns ist das leider einfach aus Platzgründen nicht möglich da wir viele kleine Räume in der Wohnung haben.

Im Kinderzimmer sind aber Plätze und Stühle für Erwachsene und wir spielen oft alle gemeinsam in seinem Zimmerchen.

Unser Kleiner ist eigentlich sehr kooperativ finde ich, wenn es mal ein Nein gibt erkläre ich ihm einfach warum, generell bleibe ich sehr entspannt und ich denke die Ruhe übertragt sich auf die Kinder.

Ein Erziehungsstil oder Ideal ist nicht der Richtige, wenn es einen auf die Palme bringt und auf Dauer stresst, denn dann schaukeln sich Situation schnell hoch und können sich manifestieren. Konsequenz und Rituale sind sehr wichtig. Mit Konsequenzen meine ich nicht Strafen, sondern dass man einfach dass mab den roten Faden hat und nicht sprunghaft in seinen Handlungen ist mit dem Kind.

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Ich mach es immer so, dass ich auf jede Frage/Bedürfnis eher JA sage. Wenn ich spontan NEIN sagen will überlege ich warum und ob das ein guter Grund ist.
Oft zeigen sich die Kinder auch erstaunlich kooperativ wenn man es ihnen erklärt.

Beispiel:
Als Erzieherin werde ich von Grundschulkindern gefragt ob sie in den Kickerraum dürfen. Es ist 20min vor Ende, der Raum liegt im Obergeschoss und ich muss ihn extra auf- und zusperren und vermutlich nachher aufräumen. Warum will ich nein sagen?
- es ist mir zu anstrengend und ich bin zu faul. Außerdem wollte ich grade was trinken.
Ein guter Grund? NEIN!
Ich sage den Kindern: Ist es euch sehr wichtig? Wir haben nur noch kurz Zeit und ich hab jetzt eigentlich keine Lust euch den Raum extra aufzusperren. Nachher muss ich bestimmt wieder viel aufräumen und immer kontrollieren das ihr keinen Blödsinn macht. Außerdem wollte ich jetzt noch was trinken.
Die Kinder: Ja aber sie können uns den Schlüssel geben und wir bringen ihn gleich wieder und wir machen bestimmt keinen Blödsinn und räumen alles wieder auf!

Ja da sind wir uns natürlich schnell einig geworden. Und alle zufrieden und alle Bedürfnisse wurden berücksichtigt.

Bei kleineren Kindern finde ich es viel schwieriger. Aber wenn man einfach immer überlegt was hinter einem NEIN steckt (warum man nein sagen will) kommt man schon gut weiter.

Häufig will meine Tochter z.B. draußen getragen werden. Ich will das nicht, es ist mir zu anstrengend. Aber dann biete ich an, sie feste zu umarmen oder sie auf der Bank auf den Schoß zu nehmen und dann geht es wieder.

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Hey,

Zunächst mal ein Zitat aus dem Wikipedia Artikel zu dem Thema:

"Unter Attachment Parenting (kurz oft: AP; engl. für „Bindungserziehung“; deutsch auch: Bindungsorientierte Erziehung, Bedürfnisorientierte Erziehung) versteht man eine Erziehungslehre, deren Methoden darauf ausgerichtet sind, die Mutter-Kind-Bindung dadurch methodisch zu fördern, dass die Mutter sich dem Kind gegenüber nicht nur maximal responsiv verhält, also möglichst auf die Signale des Säuglings reagiert, sondern auch möglichst viel Zeit in enger körperlicher Nähe mit dem Kind verbringt.[1] Der Begriff „Attachment Parenting“ stammt von dem amerikanischen Kinderarzt William Sears, der bis heute auch der bedeutendste Vertreter der Lehre ist.

Die mannigfache Kontroverse um den praktischen Stellenwert und die theoretischen Grundlagen von Attachment Parenting prägt die Diskussion bis heute."

Also: maximal responsiv heißt nichts anderes, als dass auf das Kind, vor allem als Säugling, in jedem Falle eingegangen wird und dass wenn möglich JEDE Gefühlslage prompt beantwortet wird. Es geht also um Interaktion mit dem Kind.
Sehr wichtig wie man heute weiß. Ganz früher wurden Babys halt einfach in ihre Betten gelegt, ohne jegliche Reize, und sich selbst überlassen. Man weiß heute, dass das für die gesamte emotionale, psychosoziale und funktionale Entwicklung des Hirns eines Kindes grausam ist. Es hat keine Chance, sich zu entwickeln.
Also: gute Idee.

Laut Sears gehört zum AP auch: bedarfsorientiertes Stillen und Langzeitstillen, Beobachten des Babys um jedem Schreien zuvorzukommen, möglichst häufig Tragen, Co-Sleeping (Familienbett)

Sears sieht schon ein, dass das sehr anstrengend ist und am schlimmsten finde ich folgendes:

"Auch bei einer Überlastung der Mutter solle an der Methode jedoch um jeden Preis festgehalten werden."

und

"Im schlimmsten Falle soll ein Psychotherapeut zu Rate gezogen werden."

Wenn man also vor lauter AP auf dem Zahnfleisch geht: weiter machen. Und das nervt mich einfach so an diesem "Konzept".
Viele Dinge sind super und können Lösungen für Probleme aller Art sein, zum Beispiel das Tragen oder das Familienbett. Wenn man es dogmatisch auslegt wird das ganze Thema aber wieder zu einer Art Religion an der man um jeden Preis festhalten soll. Das wiederstrebt mir und meinem Familienbild total.
Anders als viele hier schreiben, geht es Sears nämlich nicht besonders um die Bedürfnisse der Eltern.
Ich persönlicha bin überzeugt davon, dass Familie nur funktioniert, wenn alle Mitglieder berücksichtigt werden.

Auch folgendes ist interessant:

"Ein Kind, das seinen Eltern vertraue, sei kooperativ und widersetze sich nicht dagegen, dass die Eltern sein Verhalten leiten."

Sehe ich etwas anders.
Nungut. Es herrscht eine riesen Diskussion um dieses Thema undzwar ganz einfach weil es keine wirklich fundierten theoretischen Grundlagen zu diesem Konzept gibt. Viele meinen, AP sei die Antwort auf alles und halten Sears Buch für die Bibel. Dabei wird nichtmal der Begriff "Bedürfnis" ernsthaft irgendwo erklärt:

"Zwar betonen sie, dass Eltern zwischen den „Bedürfnissen“ und den „Wünschen“ (wants, desires) ihres Kindes unterscheiden sollen, geben aber keine Handhabe, worin genau Bedürfnisse sich von Wünschen unterscheiden, und wie Eltern den Unterschied erkennen sollen."

Es ist total schwammig alles. Für
mich ist genau deshalb dieser Begriff ein absolutes Unwort geworden.
Und jeder legt es wieder anders aus...

Hält man sich genau an die "Regeln" von Sears, ist es allerdings eine sehr fanatische Auslegung die ich mehr als unglücklich finde.

Liebe Grüße